"Studiert, was euch inspiriert!"
Die 100 besten Mädchen des Känguru-Mathematikwettbewerbs wurden eingeladen, einen Tag lang die ETH Zürich zu erkunden, in Labors zu experimentieren und Gleichgesinnte zu treffen.
Jeden März stellt der Wettbewerb Känguru der Mathematik die Problemlösefähigkeiten von Schülerinnen und Schülern von der Primarstufe bis hin zum Gymnasium auf die Probe. Ursprünglich in Australien entwickelt, wird der Test heute in über 105 Ländern weltweit durchgeführt. Zur Förderung der Frauen in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen laden das Departement Mathematik der ETH und der Verein 500 Women Scientists Zurich jedes Jahr die 100 besten Siebtklässlerinnen des Schweizer Wettbewerbs an die ETH ein. Die Veranstaltung nennt sich Kangaroo goes Science (KGS) und wurde erstmals 2018 durchgeführt.
Programm für Eltern und ihre Töchter
Am vergangenen Donnerstag empfing die ETH die Mädchen und ihre Eltern auf dem Campus Hönggerberg. Am Vormittag wurden sie von ETH Rektor Günther Dissertori und Känguru-Schweiz-Präsidentin Meike Akveld begrüsst und erhielten danach einen kurzen Einblick in die Forschung von Physik-Professorin Rachel Grange. Nach einem unterhaltsamen mathematischen Intermezzo von Doktorandin Maybritt Schillinger erzählten vier Studentinnen von ihrem Weg an die ETH. Der Vormittag endete mit einer Preisverleihung, bei der die fünf besten Mädchen des diesjährigen Känguru-Wettbewerbs ausgezeichnet wurden. Nach dem Mittagessen mit ETH-Studentinnen in der Rolle von «Gottis» durften die Mädchen selbst Hand anlegen: In Kleingruppen besuchten sie zwei Labore, wo sie spielerisch mit Forschungsthemen in Kontakt kamen. Unter anderem bauten die Mädchen Brücken, entwickelten eigene Hochwasserschutzbauten in einem Simulationskanal oder testeten ihre Problemlösefähigkeiten in Mathe-Workshops. Derweil machten die Eltern eine Tour über den ETH-Campus und lernten in einer Präsentation und Fragerunde den Studien- und Forschungsbetrieb der ETH näher kennen.
Einige Höhepunkte des KGS-Programms
Reto Kreuzer, Studiengangskoordinator D-ITET, stellte den Eltern das ETH-Studium vor und beantwortete ihre Fragen.
Eltern auf der Campus-Tour geniessen die Aussicht vom höchsten Gebäude der ETH Hönggerberg. In einem der Nachmittagsworkshops lernen die KGS-Mädchen, wie man mit möglichst wenig Material möglichst stabile Brücken baut. Am Ende der Veranstaltung wurden die von den Mädchen gebauten Brücken auf ihre Stabilität geprüft.
Die ETH inspiriert
Ins Leben gerufen wurde die Veranstaltung Kangaroo goes Science von Meike Akveld und der Umweltingenieurin Darcy Molnar. Die Idee zum Anlass kam den beiden Akademikerinnen bei der Betrachtung der Känguru-Test-Resultate: Während im Primarstufenalter Mädchen gesamthaft gleich gut abschneiden wie Jungen, zeigen ab der Sekundarstufe plötzlich letztere tendenziell besseren Resultate. «Es ist wichtig, dass wir talentierte Mädchen früh abholen und ermutigen», sagt Molnar. Die siebte Klasse ist ein idealer Zeitpunkt, um die zukünftigen Möglichkeiten an der ETH auszuloten, denn bald müssen die Mädchen wählen, welches Profil sie im Gymnasium verfolgen möchten. Dass dabei nicht nur die eigenen Interessen und Fähigkeiten ins Gewicht fallen, hat Molnar bei ihren eigenen Kindern erlebt. «Teenager können unter Druck geraten, das gleiche Profil wie ihre Freundinnen und Freunde zu wählen – und das scheint bei Mädchen eher nicht das mathematisch-naturwissenschaftliche Profil zu sein», erzählt die dreifache Mutter. Gerade Mädchen hätten dann vielleicht nicht das nötige Selbstvertrauen, um sich für das mathematisch-naturwissenschaftliche Profil zu entscheiden, meint sie.
«Es ist wichtig, dass wir talentierte Mädchen früh abholen und ermutigen»Dr. Darcy Molnar
Eltern nehmen Schlüsselrolle ein
In solchen Situationen können die Eltern eine zentrale Rolle einnehmen, ihre Töchter ermutigen und in ihren Fähigkeiten bestärken. Die Eltern schätzen daher die Gelegenheit sehr, gemeinsam mit ihren Töchtern die ETH besuchen zu dürfen. So lernen sie die ETH näher kennen und erfahren, was es bedeutet, an einer technischen Hochschule zu studieren. «Eltern können ihre Kinder besser unterstützen, wenn sie die Möglichkeiten kennen», erklärt Molnar. Nicht selten stellt sich sogar heraus, dass die Eltern nichts von den guten Leistungen ihrer Töchter im Mathematikwettbewerb wussten.
Mit Herzblut ans Ziel
Seinem Herzen folgen und studieren, was man mag – und nicht, was man denkt, was man studieren sollte. Diese Botschaft, die Molnar vermitteln möchte, bezieht sich direkt auf ihre Biografie. Aufgewachsen in Kamerun ist sie – im Einklang mit der französischen Tradition – früh in Mathematik gefördert worden. An der High School entflammte ein leidenschaftlicher Lehrer ihre Freude an der Physik. Schliesslich schrieb sie sich jedoch an der Universität für internationale Beziehungen und Sprachen ein. «Ich wollte später in Afrika arbeiten und dachte, das sei dafür eine kluge Wahl», erzählt die gebürtige Amerikanerin. Schnell merkte sie jedoch, dass sie für diese Studienfächer nicht begeistern konnte, und wechselte zu Physik und Mathematik.
Trotzdem hat sie ihr Ziel, in Afrika zu arbeiten, erreicht: Nach dem Bachelor in Physik absolvierte sie einen Master in Water Resources Planning and Management und einen Doktor in Hydraulic Engineering. Sie spezialisierte sich auf Wassermanagement in Entwicklungsländern und baute den Weiterbildungsstudiengang Master of Advanced Studies (MAS) in Sustainable Water Resources an der ETH auf. «Ich bin einfach meinem Herzen gefolgt, und das hat geklappt», schmunzelt sie. Heute leitet sie mehrere Projekte in Ghana und Kamerun.
«Ich bin einfach meinem Herzen gefolgt, und das hat geklappt»Dr. Darcy Molnar
«Es ist toll, in etwas gut zu sein»
In ihrer Heimat, den USA, sieht Molnar mehr Frauen an naturwissenschaftlich und technisch ausgerichteten Hochschulen als in der Schweiz. Dies führt sie unter anderem auf das Schulsystem zurück: Die USA legten mehr Wert auf Naturwissenschaften und Mathematik und förderten Talente in Wissenschaftswettbewerben, erzählt sie. «Wir sollten die Kinder ermutigen, dass es toll ist, in etwas gut zu sein, und ihnen zeigen, dass sich harte Arbeit auszahlt», sagt sie. Molnars Lieblingsmoment des erlebnisreichen KGS-Tages ist deshalb die Verteilung der Awards an die fünf besten Mädchen des Wettbewerbs. «Es ist so schön zu sehen, wie sich die Mädchen füreinander freuen und sich gegenseitig unterstützen», erzählt sie.
Mathematikbegeisterte Mädchen sollten gefördert und gefeiert werden. Kangaroo goes Science ist eine wunderbare Gelegenheit, Mädchen und Frauen mit gleichen Interessen und Stärken zusammenzubringen und den Mädchen zu zeigen, dass sie ihren Leidenschaften folgen können. Das «Gotti»-System am Event zeigt, dass auch schon junge Frauen im Bachelorstudium Vorbilder sein können. Und was ist inspirierender als eine Person, die sich für ihr Fach begeistert?